Yoga - der Weg zu einem bewussteren und besseren Leben... Ob mir das immer gelingt? Natürlich nicht. Denn jede Verhaltensänderung stellt einen Prozess dar und der Weg des Yoga sogar einen lebenslangen. Gestern Abend bin ich darauf wieder aufmerksam gemacht worden: wiedermal sitze ich wie lange an meinem Computer, weil ich unbedingt etwas zu Ende bringen will. Ich merke, dass ich müde bin, dass ich schlafen sollte und weiß sowieso, dass der Computer mir abends nicht gut tut. Aber ich bleibe dran, quäle mich durch die Arbeit und bin nachher stinke wütend auf mich, weil ich nicht auf meine Bedürfnisse gehört habe. Doch dann beruhige ich mich wieder und erinnere mich: Yoga ist ein Übungsweg. Ein langer Weg, auf dem wir manchmal zurück in alte Muster fallen, manchmal unsere Motivation verlieren, manchmal einen inneren Widerstand spüren und merken, dass wir zwar erkennen, dass es für uns besser wäre, unser Verhalten zu ändern, wir aber noch nicht wirklich bereit sind, es zu tun. Sadhana wird im Yoga der Übungsweg genannt. Um zu neuem, förderlichen Denken und Handeln zu gelangen, müssen wir es einüben. Patanjali* wusste auch schon vor 2000 Jahren, dass die Praxis dann erfolgreich ist, wenn sie über einen langen Zeitraum ohne Unterbrechung beibehalten wird. Das gelingt, wenn unsere innere Motivation zur Veränderung hoch genug ist, wir aber gleichzeitig auch Vertrauen in unsere Kraft und Ausdauer haben, besonders wenn sich Hindernisse auftun. (gemäß Yoga-Sutra 1.14) Interessanterweise bestätigt heute die moderne Gehirnforschung seine Ratschläge: Gehirnareale, die wir nicht nutzen, werden weniger genutzt und verkümmern nach und nach. Was wir beharrlich wiederholen, prägt sich aber tief ein uns wird sich irgendwann auf unser Denken, Fühlen und Handeln auswirken. Patanjali sagt: "abhyāsa-vairāgya-ābhyāṁ tan-nirodhaḥ", was so viel bedeutet wie „Durch Üben und die Fähigkeit, Loszulassen, kann unser Geist den Zustand des Yoga erreichen.“ (Yoga-Sutra 1.12, übersetzt nach Desikachar). Oder anders gesagt: üben wir beharrlich und gleichzeitig gelassen, kommen wir voran auf unserem Weg. Abhyasa - Anstrengung, Bemühen, Beharrlichkeit, Tun, Ausdauer Vairagya - Gleichmut, Gelassenheit, Losgelöstheit, Wunschlosigkeit. Was bedeutet Abhyasa nun für unser Leben? Wenn wir etwas erreichen wollen (auf dem Yogaweg der Achtsamkeit voran kommen, unser Leben gesünder gestalten, freundlicher sein, uns mehr Zeit für uns nehmen….) dann befinden wir uns in einem Lernprozess. Um auf ihm voran zu kommen, braucht es zunächst Bemühen, Disziplin, Beharrlichkeit und Ausdauer. Genauso wichtig ist es aber auch, nicht zu ehrgeizig zu werden und zu sehr an einem Ziel festzuhalten. Wer sich zu sehr mit den Ergebnissen seines Handelns identifiziert, der läuft Gefahr wieder ins Leid zu rennen, da es auf dem Übungsprozess immer wieder Hindernisse und Rückschläge gibt. So wie ich gestern Abend: ich hatte mir vorgenommen mit dem guten Gefühl des "Fertiggewordenseins" ins Bett zu gehen, das war mein Ziel, an dem ich kleben geblieben bin. Dafür bin ich über mein Schlafdefizit hinaus gegangen und habe mich über mich selbst geärgert. Was hätte ich tun können? Ich hätte auf Patanjali hören können, der zu Vairagya, der Fähigkeit loszulassen rät. Ich hätte ins Bett und ausgeschlafen wieder am nächsten Morgen ans Werk gehen sollen. Denn Vairagya beutet auch Vertrauen zu haben, dass wir mit Abhyasa - der Disziplin wieder beginnen werden. Ein anderes, so wundervolles Wort für Vairagya ist Gleichmut. Ich liebe es, da es den Mut beschreibt, Dinge gleich(gültig) sein zu lassen, loszulassen von einer Tätigkeit, auf die wir vorher unsere volle Aufmerksamkeit, unsere gesamte Energie gerichtet haben, um es erfolgreich zu beenden. Der Trick ist mit Beharrlichkeit und Ausdauer ein Ziel zu verfolgen und dabei nicht nur auf das Ziel selbst ausgerichtet zu sein. Denn jede Identifikation, auch die mit einem bestimmten Resultat, verursacht wieder Leid, nämlich dann, wenn etwas dazwischen kommt und wir dieses Resultat nicht erreichen. Der Weg als Prozess ist also im Fokus, das Tun, nicht das Erreichen. Damit und mit dem Wissen, dass es in Ordnung und gewünscht ist, Pausen auf diesem Weg einzulegen und Loszulassen können wir Widerständen und Hindernissen auf diesem Weg gelassener begegnen. Loslassen bringt uns voran Das Loslassen ist ein wichtiger Teil zur Zielerreichung. Verbittertes Festhalten ist zum Scheitern verurteilt. Eine kleine Geschichte dazu: In Indien werden die Affen gefangen, in dem ein Glas mit Nüssen gefüllt wird. Die gefräßigen Affen greifen also in das Glas hinein, dessen Öffnung ein bisschen kleiner ist, machen eine Faust, um die Nüsse zu greifen und bekommen die Faust so nicht mehr aus dem Glas. Alles, was sie tun müssten, ist, die Nüsse loszulassen und sie wären frei. Ein schönes Beispiel, wie sehr uns Festhalten an einem Ziel gefangen hält und uns Möglichkeiten rauben. Savasana, die Endentspannung in unserer Asanapraxis, ist Vairagya in Perfektion. Wir müssen nichts tun, außer loszulassen und kommen genau dadurch voran: all die Übungen unserer Praxis können in dem Prozess des Loslassens ihre Wirkung entfalten. Was werde ich also das nächste Mal, wenn ich unbedingt fertig sein will, aber das Bett ruft? Ich werde loslassen, mich schlafen legen und frisch und erholt am nächsten Tag mit neuer Motivation und Ausdauer dort weitermachen, wo ich am Vorabend aufgehört habe. *Patanjali wird als Autor des Yoga-Sutras: dem Leitfaden des Yoga bezeichnet wird. Aber wahrscheinlich war es nicht nur ein Mann, der die kurzen 195 Verse, die die Essenz des Yogawegs beinhalten, erstellt hat. Vielmehr könnte es eine Sammlung/Zusammenschrift diverser anderer Quellen sein.
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